Das Gebäude, in dem sich heute der »Dorftreff beim alten Haarmeyer« befindet, war im 19. Jahrhundert das Gasthaus der Familie Gerken. Die Tochter des Hauses, Maria Elisabeth, heiratete Johann Heinrich Kitzero und führte mit ihm die Gastwirtschaft ihrer Familie weiter. Darum findet man als Bildunterschrift unter alten Fotos manchmal die Bezeichnung »Haus Kitzero«.
Die Ehe der beiden blieb kinderlos, 1882 starb Johann Heinrich. Die Witwe Kitzero starb vier Jahre später und vermachte in ihrem Testament den größten Teil ihres Vermögens der Kirchengemeinde. Ein Grundstück gegenüber des Gasthauses sowie eine bestimmte Summe Geld war zweckgebunden für den Bau der neuen Kirche. Eine weitere Summe war bestimmt für die Errichtung eines Krankenhauses.
Zunächst richtete man Krankenzimmer im Haus Kitzero ein. Schnell war man sich aber darüber klar, dass die Räumlichkeiten nicht für die Versorgung von Kranken geeignet waren. Das Kitzero-Vermögen wurde dann für die Errichtung des Krankenhauses in Neuenkirchen eingesetzt – zu Ehren der Stifterin wurde es nach der Heiligen St. Elisabeth von Thüringen benannt.
Das Haus Gerken bzw. Kitzero stand nun ohne Nutzung leer.
Der Bruder von Elisabeth – Josef Gerken – hatte mit seiner Frau Wilhelmina (mindestens) einen Sohn: Anton Gerken. Zu ihm erfahren wir gleich mehr.
Im Jahr 1800 heiratete Gerhard Hermann Haarmeyer aus Alfhausen in Neuenkirchen Maria Anna Fischer. Sie bekam ein Grundstück von ihren Eltern an der alten Kirche – gegenüber der alten Küsterei (heute Schulhof) – und errichteten dort (vermutlich 1806) eine Gaststätte mit Bäckerei.
Deren Sohn Bernhard Josef Haarmeyer heiratete 1831 die 18jährige Gastwirtstochter Euphemia Catharina Ludovica Theißen aus Halverde. (Nach deren frühem Tod heiratete er ein zweites Mal. Nachkommen aus der zweiten Ehe gehen nach Hamburg und eröffnen dort eine Bäckerei Haarmeyer. Mehr dazu lest ihr hier )
Die zweitjüngste Tochter (aus erster Ehe) Bernadine Auguste Haarmeyer heiratete den Neuenkirchener Bäcker Anton Gerken (Neffe von Elisabeth Kitzero). Ihr Mann nahm den Namen Haarmeyer an. Gemeinsam führten sie das Gasthaus Haarmeyer weiter, ein Fachwerkhaus mit großer Sandsteintreppe. Im alten – wie später im neuen Haus – gab es auch einen Lebensmittelladen und eine Bäckerei.
Das alte Gasthaus Haarmeyer war in die Jahre gekommen und so kaufte Anton Haarmeyer (geb. Gerken) das Elternhaus seines Vaters: das alte Gasthaus Gerken bzw. Kitzero (Das genaue Datum ist unklar. Unterschiedliche Quellen geben den Kauf bzw. Umzug mit 1895 und 1898 an.). So kam das Haus zu seinem heutigen Namen – und die Familie Haarmeyer hatte wieder ein Gasthaus in Neuenkirchen gegenüber der (neuen) Kirche.
Das alte Haarmeyersche Haus bot später »Godas Oma«, die auch die Schule reinigte, Wohnraum. Das alte Fachwerkhaus, das auf die Kinder des Ortes so geheimnisvoll wirkte, brannte 1942 ab. Es wird vermutet, dass der Brand durch Brandplättchen verursacht wurde, die von alliierten Fliegern abgeworfen wurden. Nachmittags um 4 Uhr sahen Kinder, die aus dem Seelsorgeunterricht kamen, den Dachstuhl lichterloh brennen.
Hier sehen wir Anton und (Bernhardine) Auguste Haarmeyer um 1900 im Kreise ihrer zehn Kinder.
In einer Neuenkirchener Chronik (die im damaligen Kriegerehrenmal auf dem heutigen Dorfbrunnenplatz eingelassen wurde) werden die Söhne der Familie Haarmeyer aufgezählt und kurz über deren Werdegang berichtet. Wie damals üblich wurden die Töchter darin nicht einmal erwähnt. Aus verschiedenen Quellen und Stammbäumen konnten wir inzwischen aber auch deren Namen und Geburtsdaten nachvollziehen. Maria Luise (* 1882) war in Bösel (Oldenburg) mit dem Landwirt Lübben verheiratet. Tochter Anna (* 1886) heiratete bei Keßling (später Ostendorf) in Limbergen ein. Carolina Auguste (* 1889) war als Frau Philipp in Ankum verheiratet. Die jüngste Tochter Antonia (* 1895) starb mit 6 Jahren an der »englischen Krankheit« (Rachitis).
In der hinteren Reihe auf dem Bild sehen wir links August Haarmeyer. Er war für mehrere Jahre Ortsvorsteher von Neuenkirchen. Als Erstgeborener wäre er üblicherweise der Nachfolger seiner Eltern gewesen. Doch da er (Zitat aus der Chronik) »es ablehnt, trotz gütigen Zuspruchs von allen Seiten in den hl. Ehestand zu treten«, schied er als Erbe aus.
Zweiter von links ist Ernst Haarmeyer, Postinspektor in Münster Werlte. In der Mitte steht Laurenz Haarmeyer, Buchbinder in Ibbenbüren (später Osnabrück. Eine spannende Geschichte über seinen Sohn Hans findet ihr hier.). Der Vierte in der Reihe ist Josef Haarmeyer, er heiratete als Gastwirt in die Familie Welling (nebenan) ein. Hinten rechts steht Georg Haarmeyer, Lehrer in Mönchengladbach
(Verfasser der Chronik). Der kleine Junge stehend in der vorderen Reihe ist Bernhard Haarmeyer, der als jüngstes Kind später die Gastwirtschaft übernommen hat.
Einige wenige Neuenkirchenerinnen und Neuenkirchener können sich noch an den alten »Onkel August« mit seiner goldenen Brille erinnern. Man sagt, er habe sehr schnell gesprochen, vielleicht kam daher sein Spitzname »Tütt-Tütt«.
Auch wenn er offiziell nicht der Besitzer des Gasthauses war, so empfanden ihn viele als den eigentlichen Chef des Hauses. Auch auf die Kinder des Ortes wirkte er respekteinflößend. Er war ab 1919 Ortvorsteher bzw. Bürgermeister von Neuenkirchen. Von den Nationalsozialisten wurde er 1934 wegen »parteipolitischer Unzuverlässigkeit« seines Amtes enthoben.
Gleichzeitig war August Haarmeyer ein sehr großzügiger Mensch, zur Kirmes verteilte er freigiebig Groschen an die Kinder. Seine tatsächliche Großherzigkeit offenbarte sich aber durch Briefe, die wir auf dem Dachboden des alten Haarmeyers fanden. Viele Briefe aus der Vorkriegszeit waren in einer Blechkiste gesammelt, die alle darauf schließen ließen, dass er seine Verwandten nach flehentlichen Bitten um finanzielle Hilfe in großzügiger Weise unterstützt hat. Eine sehr spannende Geschichte dazu lest ihr im Detail hier .
Bernhard, der jüngste Sohn von Anton und Auguste, heiratete Emma Dückinghaus aus Aslage / Ankum und betrieb mit ihr gemeinsam Gasthaus, Bäckerei und Laden. Wer die beiden gekannt hat, erzählt uns heute von ihrem freundlichen Wesen und ihrer Großzügigkeit. In der Nachkriegszeit, als Lebensmittel nur gegen Lebensmittelmarken erhältlich waren, habe Haarmeyers Emma nur so winzige Schnipsel von den Karten abgeschnitten, dass niemand ohne genug zu Essen nach Hause habe gehen müssen.
Nach dem Hochamt war das Gasthaus Haarmeyer allgemeiner Treffpunkt. Während die Neuenkirchener Kirchgänger zum Frühschoppen in der Kneipe saßen, trafen sich die Frauen aus der Haarmeyerschen Verwandtschaft in der Küche, wo es gern ein »Köppken Kaffee« und »Beschüte« gab.
Emma und Bernhard hatten zwei Söhne, August und Bernhard. Bernhard – »Berni« genannt – war schwer krank und verstarb bereits mit 23 Jahren. August (Bäckermeister) übernahm später die Gastwirtschaft von seinen Eltern.
August Haarmeyer haben viele Neuenkirchener noch in lebhafter Erinnerung. Er hat das Haus über Jahrzehnte, bis ins hohe Alter geführt. Das Gasthaus Haarmeyer war weit über die Grenzen Neuenkirchens ein Begriff. Unzählige Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen, Vereinssitzungen, Bälle und Feste wurden hier – nicht selten bis in die frühen Morgenstunden – gefeiert.
Emmi Briede gehörte zwar nicht zur Familie Haarmeyer, war aber Zeit ihres Lebens die gute Seele des Hauses. Mit 14 Jahren kam sie bei Haarmeyers in die Lehre und ist dem Haus für immer treu geblieben. Da sie später auch im Haus wohnte und einfach zum Inventar gehörte, nannte man sie im Ort auch oft »Haarmeyers Emmi«. Der gute Ruf der Küche ist zu großen Teilen ihr zu verdanken. Ihre Hochzeitssuppe fand allseits hohes Lob und der spezielle Vanillepudding mit Erdbeeren heißt heute noch »Emmis Pudding«.
Im Jahr 2000 starb August Haarmeyer als letzter Besitzer des Gasthaus Haarmeyer. Er starb unverheiratet und kinderlos und vermachte seinen Besitz dem Sondervermögen der Kirchengemeinde, das aus der Stiftung der Witwe Kitzero vor über 100 Jahren entstanden war. Er überlies seinen Besitz der Stiftung »zum Wohle Neuenkirchens«.
Hier endet die Familiengeschichte der Neuenkirchener Familie Haarmeyer. Doch mit der Umgestaltung des Hauses zu einem Dorftreff lebt der Geist des Hauses weiter: ein Treffpunkt für alle Neuenkirchenerinnen und Neuenkirchener und Gäste aus den umliegenden Gemeinden. Hier können wir zusammenkommen, feiern, uns austauschen und einen Mittelpunkt für unser gemeinschaftliches Miteinander schaffen. In der langen Tradition der Familie Haarmeyer und des Gasthauses an dieser Stelle soll es weiterhin für Gastfeundschaft stehen und ein Anlaufpunkt für alle sein.